Zwischen den Stühlen

Ein Stuhl ist ein Hocker
mit einer Rückenlehne,
und ein Hocker ist ein Brett
das durch Stützen
vom Boden abgehoben ist.“

[Dr. Christopher Dresser, 1873, britischer Designer]

 

Wenn man die Funktion eines Stuhles betrachtet, stellt er eine körperliche und emotionale Verbindung zu dem Sitzenden her. Weiterhin kann er sich natürlich visuell und funktional mit dem vorhandenen Stil und den Ausstattungselementen eines Raumes bzw. einer Wohnung verbinden. Gezielt ausgesucht und in einen bestehenden Kontext integriert, können Stühle einen Raum in einem komplett anderen Licht erscheinen lassen.

Die Evolution des Stuhles kann man in gewisser Weise als Designgeschichte im Kleinen betrachten. Im Laufe der Zeit hat sich das Aussehen des Stuhles immens gewandelt. Es werden neue Formen auspro- biert, neue Materialien. Trotzdem finden konventionelle Materialien, die sich auf Dauer bewährt haben und einfache und funktionale Formen wieder Verwendung bei modernen Stuhlentwürfen. Beispielswiese das gebogene Holz beim klassischen Wiener Kaffeehaus-Stuhl von Thonet. Puristisch. Zeitlos. Formschön.

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Eine neue Interpretation des Kaffeehaus-Stuhles findet man beispielsweise bei dem 107er von Thonet , entworfen von Industriedesigner Robert Stadler. Ideal geeignet zur Bestuhlung von Cafés und Restaurants, erhältlich mit oder ohne gepolsterte Sitzfläche. Er ist zwar nicht aus einem Formholz gebogen, wird aber komplett maschinell hergestellt und die Rückenlehne ist nicht nur gestalterisches Element sondern auch konstruktiv.

Für mich bzw. meine Beine ist er ein wenig zu hoch. Die Sitzhöhe beträgt 47,5 Zentimeter, leider komme ich nicht ganz auf den Boden. Die Sitzfläche ist auch ohne Polster durchaus bequem und ich kann mir gut vorstellen in einem schönen Café darauf zu sitzen und meinen Latte Macchiato zu genießen. [und natürlich zu bloggen] Die Rückenlehne ist so gebogen, dass man sich gut anlehnen kann, für meinen Geschmack könnte ein Kissen im Rücken nicht schaden. Aber wer sagt denn, dass man nicht durchaus eines der vielen tollen Kissen, die zur Zeit auf dem Markt sind, mit dem Neuen Kaffeehausstuhl kombinieren kann.

Heute hat ein funktionales und ergononmisches Design durchaus mehr Bedeutung als noch vor etwa fünfzehn Jahren. Das gesunde Sitzen ist hauptsächlich am Arbeitsplatz wichtig und so wird immer mehr an der Ergonomie gearbeitet. Eine wunderbar ergonomische Form hat meiner Meinung nach der All-Time- Klassiker von Verner Panton: Der Panton Chair.

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Dieser Stuhl hat auf jeden Fall gute Chancen zum Büro-Stuhl zu avancieren – wenn ich mal eigene Räumlichkeiten habe und nicht mehr im Home-Office arbeiten muss. Mal sehen in welchem Raum er dann eingesetzt wird. Vor einigen Jahren habe ich in einem luxemburgischen Büro gearbeitet, dort stand der Stuhl in fünffacher Ausführung um einen runden Tisch im Besprechungszimmer.

Sehr bequem ist er und ich komme sogar mit den Füßen auf den Boden. Die Rückenlehne ist durch die frei schwingende Konstruktion flexibel und man kann sich entspannt zurücklehnen. Die Funktion eines Stuhles als „Sitzhilfe“ ist in der Geschichte des Stuhl-Designs eigentlich immer gleich geblieben. Die Herausforderung für den Entwerfer besteht darin, einen Stuhl für die jeweilige Funktion zu entwerfen. Sei es ein Stuhl zum Warten, ein Stuhl zum relaxen, ein Stuhl zum arbeiten.

Auch die unterschiedlichen Menschen, die darauf Platz nehmen, müssen bei der Entwurfsarbeit be- rücksichtigt werden: Der Sitzende muss sich auf einem Stuhl so integrieren, dass die Beine herabhängen und die Füße gerade den Boden berühren. Egal wie viel Polster ein Stuhl besitzt, irgendwann kommt der Punkt, dass die Sitzbeinhöcker drücken und genau dann muss der Sitzende seine Position verändern. Rein statistisch passiert dies etwa alle 10 bis 15 Minuten.

Bei dem folgenden Stuhl passiert das wohl eher erst nach 15 Minuten, denn durch die federnde Wirkung, die flexible Rückenlehne und die flexible Sitzfläche ist er äußerst bequem. Seit etwa zwei Wochen sitze ich beim Arbeiten darauf und ich möchte nicht mehr aufstehen! Es handelt sich um den S 34 N von Mart Stam entworfen für Thonet 1926: Der erste Freischwinger der Möbelgeschichte.

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Also ist es bei der Entwicklung eines guten Stuhldesigns nicht nur wichtig die richtige Stütze für die Wirbel- säule zu finden, sondern noch viel eher, dass die Bewegungsfreiheit der Beine gewährleistet ist, um öfter die Sitzposition zu wechseln. Sagt der Preis etwas darüber aus, ob ein Stuhl bequem ist oder nicht? Es gibt durchaus preiswerte schöne und bequeme Stühle. Ein Beispiel dafür ist dieses Exemplar: Der Stuhl Bernhard von IKEA . Er fügt sich trotz niedrigem Preis ausgesprochen gut in diese Fünfergruppe hier ein.

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Die Rückenlehne und Sitzfläche sind aus lederbezogenen Buchenfurnier gefertigt. Die Haptik des Leders trägt bei diesem Stück extrem zu einem hochwertigen Erscheinungsbild bei. Durch die weiche Polsterung unter dem Leder ist er durchaus bequem und fühlt sich an unserem Esstisch unter Designerobjekten sehr wohl. Als letzten in meiner Reihe möchte ich einen Stuhl vorstellen, der schon seit meiner ersten und leider ein- zigen Exkursion nach Weil am Rhein zu meinen Lieblingsstühlen zählt! Leider ist es meiner Meinung nach auch der unbequemste von allen: Es handelt sich um den DSW Chair von Charles und Ray Eames .

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Meine Füße berühren ebenfalls, wie beim 107er, nicht den Boden und die Sitzschale ist zu hart und für meinen Körper nicht ergonomisch genug geformt. Nichtsdestotrotz schaue ich den Stuhl einfach gerne an! Vielleicht auch weil er mich schon so lange begleitet. Das Ehepaar Eames gehört zu den bedeutendsten Designern der Sitz-Geschichte. Die beiden haben weit mehr als zwanzig Möbel und Sitzobjekte geschaffen und ihre Entwürfe haben über Ihren Tod hinaus welt- weit Bestand. Die Unternehmens-Geschichte von Vitra begann mit der Produktion der Entwürfe von Charles und Ray Eames.

Wie ist nun die Quintessenz der Testreihe? Gibt es DIE ideale Form für ein Sitzobjekt? Ist es nicht eher abhängig vom Sitzenden, ob die Form passt? So sind es doch unterschiedliche Aufenthaltsbereiche, für die Stühle entwickelt werden, unterschiedliche Menschen, die auf den Stühlen Platz nehmen, eine unterschiedliche Verweildauer auf den Stühlen. Ich glaube diesen idealen Stuhl gibt es nicht – nur in Gedanken. Jeder muss seinen eigenen passenden und perfekten Stuhl finden!

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